Gewinner und Verlierer im sozialem Vergleich
Gewinner und Verlierer im sozialem Vergleich

"Wir war`n uns alle einig in dem großen Saal, wir hatten große Pläne und ein großes Ideal. Ich war der Frechste und der Lauteste und hatte Schneid, ich wußte: Uns`re Stärke war uns`re Geschlossenheit. Doch mancher, der von großer, gemeinsamer Sache sprach, ging dabei doch seiner kleinen eig`nen Sache nach." aus dem Song "Allein" von Rheinhard Mey

"Nein, es ist nicht "so mancher", es sind ALLE." Matthias Pöhm in "Erleuchtet, aber keine Ahnung"

Sozialer Vergleich und Stress

Der Begriff Stress stammt aus dem englischem und wurde ursprünglich auf dem Gebiet der Materialprüfung verwendet bzgl. der Anspannung, Verzerrung und Verbiegung von Metall oder Glas. Später wurde der Begriff in die Biologie und Psychologie eingeführt und meint hier ebenfalls Anspannung, Verzerrungen und Anpassungszwänge, bei denen man seelisch und körperlich unter Druck steht.

 

Das Max-Plank Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften beschäftigt sich in einer seit 2019 gegründeten Forschungsgruppe mit dem Thema "Psychosozialer Stress und Familiengesundheit".  Stress sei für viele Menschen zum Alltag geworden, als neuer Normalzustand meint die Forschungsleiterin und Professorin für soziale Neurowissenschaften Veronika Engert. 

 

Wir erlebten heute viel mehr psychosozialen Stress, d.h. Situationen die wir als unkontrolierbar und unvorhersehbar empfinden und die unser Ego gefährden.

 

"Unser Körper reagiert in einer Prüfungssituation prinzipiell genauso wie unter Lebensgefahr" behauptet Veronika Engert.  Die Nebennieren schütten verstärkt Adrenalin und das Stresshormon Cortisol aus, das Herz-Kreislaufsystem arbeitet auf Hochtouren, der Körper verbraucht gespeicherte Energiereserven. die Muskeln spannen sich an  und das Immunsystem verändert sich. Diese Vorgänge können sich dauerhaft auf die Gesundheit auswirken. Eine ständige Kortisolausschütung mache uns krank.

 

Das Phänomen Stress sollte uns eigentlich dabei helfen Herrausforderungen meistern zu können

Wir seien jedoch ständig zu viel Druck, paralellen Beschäftigungen, Lärm, Angeboten und sozialem Vergleich ausgesetzt. 

 

Menschen setzen besonders Situationen unter Druck "die die soziale Stellung des eigenen Ich`s bedrohen, also etwa ihre Kompetenz in Frage stellen, und die sie noch dazu als unkontrollierbar und unbeherrschbar empfinden...Situationen die in unserem Alltag tatsächlich mehr geworden sind." Man müsse sich von klein an permanent beweisen, auch vor einer virtuellen Menge in sozialen Netzwerken." (Max-Plank-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften/ cbs.mpg.de/institut/forschung/stress)

 

Nach Prof. Jenny Cundiff von der Universität Alabama sei es für die Gesundheit wichtig wie sich Menschen selber sehen. So hätten Menschen die ihren sozialen Status, ihren Platz in der Rangordnung, als gering einschätzen häufiger Bluthochdruck, Herzkrankheiten, Fettleibigkeit und einen erhöhten Colesterinspiegel, Der Grund läge, so wird angenommen, darin dass soziale Vergleiche Stress und Angst erzeugen. Chronischer Stress führe auch häufig zu ungesunden Verhaltensweisen, wie schlechter Ernährung, Rauchen, mangelnden körperlichen Aktivitäten, sowie schlechtem Schlaf.

Nach Ansicht von J. Cundiff spiele der Umgang der Menschen miteinander eine besondere Rolle. "Ein herrschsüchtiges, kontrollierendes oder feindseliges Verhalten anderer Menschen beeinflußt wahrscheinlich auch die Wahrnehmung des eigenen sozialen Ranges."

Soziale Vergleiche können aus unterschiedlichen Gründen durchgeführt. Die sozialpsychologische Forschung nennt vorangig drei Gründe: um sich selbst einzuschätzen, um ein positives Selbstbild zu erlangen, oder um sich selbst zu verbessern (Corcoran, K & Cruisus, J., 2016 nach Suls & Wheeler, 2000; Wood & Taylor, 1991).

 

Damit erscheinen soziale Vergleiche zunächst vor allem als ein strategischer, untersuchender Vorgang, der bestimmte Motive befriedigen oder das Erreichen von gesetzten Zielen erleichtert. Jedoch laufen sozialer Vergleichsprozesse auch immer dann unausweichlich ab, wenn wir mit Informationen über andere kofrontiert werden.

(Corcoran, K & Cruisus, J., 2016 nach Dunning & Hayes, 1996). 

 

Menschen streben nach einem möglichst positives Selbstbild. Häufig  neigen wir dann dazu, unsere Fähigkeiten und unsere positiven Eigenschaften zu überschätzen (Corcoran, K & Cruisus, J., 2016 nach Alicke & Govorun, 2005). "Wir fühlen uns unter anderem dann gut, wenn wir besser sind als andere. Soziale Vergleiche werden hier also mit dem Ziel durchgeführt, die eigene Überlegenheit festzustellen und so den Selbstwert zu steigern."  Corcoran, K & Cruisus, J., 2016 nach Wills 1981

 

Stress und Burnout als Zivilisationskrankheit

„Die Verfügbarkeit des Menschen als verwertbare Arbeitskraft unter der Kontroll-aufsicht einer festen Leistungserwartung bildet das Vorbild zur Formung eben der Gesellschaft die uns selbst in den sinnlosen Kreislauf von Produktivität und Kosumtion als Gefangene in Wut und Einsamkeit zurücklässt.“ Eugen Drewermann in "Richtet Nicht!", 2021

87 % der Deutschen fühlen sich gestresst. Jeder zweite sehe sich von Burnout bedroht, berichtet das deutsche Ärzteblatt 2018. 

6 von 10 Befragten klagen über typische Burnout Symptome, wie innere Angespanntheit, Erschöpfung und Rückenschmerzen. Zeitdruck und emotionaler Stress würden laut einer Umfrage von den Betroffenen als stärkste Belastung empfunden. Gefolgt von schlechtem Arbeitsklima und Überstunden. Jeder 4.  fühle sich von der ständigen telefonischen Ereichbarkeit gestresst.

Typische Zeichen für Burnout, so schreibt dass Diakonie Theodor Wenzel Werk e.V., seien:

  • Anzeichen von Selbstentfremdung
  • Empathielosigkeit
  • Körperliche Erschöpfung
  • Unzufriedenheit mit der eigenen Leistung und Beschwerden bei der Arbeit

 

Im den fortgeschrittenem Stadien des Burnouts sei vor allem in helfenden Berufen eine "Entpersönlichung" von Beziehungen ein typisches Burnout Symtom. Die Fähigkeit zum Mitgefühl und zur Anteilnahme für Andere nähme ab. Im Umgang würden sich emotionale Kälte und Zynismus breit machen. Menschen in pflegerischen Berufen werten dann ihre Patienten und Schutzbefohlenen stark ab. Von der Internetseite  "Burnout-Fakten, Symtome und Therapien. Diakonie Theodor Wenzel Werk e.V."

Leistung und Erschöpfung in der Wettbewerbsgesellschaft

Die entgrenzenden Leistungsanforderungen der Gegenwart innerhalb eines allgemeinen Wettbewerbregimes mit seinen Projektterminen, Zielvereinbarungen, Deadlines und Milestones führt auf Dauer bei vielen zu der Angst nicht mehr mithalten zu können und abgehängt zu werden.

 

Das Leitbild der Gegenwart wie es soziologische Studien der 2010er Jahre beschrieben wird, ist der „Arbeitnehmer als Unternehmer seiner eigenen Arbeitskraft“(siehe Ulrich Bröckling in Neckel und Wagner, Leistung und Wettbewerb, S.191.)

 

Dieser lebe im Komparativ, also im sozialen Vergleich.

 

„Er muß nicht einfach nur kreativ, findig, risikobereit und entscheidungsfreudig sein, sondern eben diese Eigenschaften in einem höherem Maße als die Konkurenz besitzen „und darf in keinem Augenblick in der Anstrengung nachlassen sein Kreativität, Findigkeit. Risikobereitschaft und Entscheidungskraft weiter zu steigern. Fertig wird er damit nie, weil auch die Konkurrenz nicht schläft und ebenfalls alles daran setzt, die Mitbewerber zu übertrumpfen. (ebd. S.191)“ Dieser Wettlauf hört „nie“ auf und aus ihm gibt es kein „Entkommen“, sowenig wie ein „Ankommen“ schreibt Ulrich Bröckling (ebd. S. 191)

 

Und weil Anforderungen keine Grenzen kennen, bleiben die Einzelnen stets hinter ihnen zurück und „hetzen trotzdem immer weiter. Die Tretmühle wird zum Teufelskreis“.

 

Bröckling sieht unser biologisches System, welches noch ein Erbe der Steinzeit sei, für weniger geeignet um auf die moderen Anforderungen der Berufswelt angemessen zu reagieren.

Da bei Dauerbelastungen für das Stresssystem, die Ur-Reaktionen von Angriff oder Flucht nicht möglich seien, befände sich das physiopsychische Sytem früher oder später in Aufruhr.

 Der Zwang zur kontinuierlichen Selbstoptimierung im Zeichen des Wettbewerbs versetzt unseren Körper in permannente Alarmbereitschaft, Stresshormone werden vermehrt ausgeschüttet. Dies führt zu Schlaflosigkeit, Anspannung, schwacher Imunabwehr und Erschöpfung. (ebd. S. 192)

 

Ulrich Bröckling beleuchtet hier auch die neuronalen Aspekte des Burnouts. Der Mensch sei von Geburt auf das Grundbedürfnis nach Verbundenheit  hin ausgerichtet und darauf sich selbstbestimmt als Person entwickeln zu können.

Wird dem Menschen jedoch später immer wieder mit Ausschluß gedroht wenn sie nicht die Leistungskriterien erfüllen, passe sich das Gehirn an und hemme die Schmerzwahrnehmung. Die Betroffenen seien dann nicht mehr in der Lage jene körperliche Signale wahrzunehmen die auf die Grenze ihrer eigenen Leistungsfähigkeit hinweisen. Sie machten einfach immer weiter, bis zum umfallen. Ebd. S. 192

 

"Gleich ob unser hormonelles Stressverarbeitungssystem "nach wie vor in der Steinzeit tickt" oder unser Gehirn von Geburt an unbeirrbar einen Kampf um Anerkennung und Autonomie führt, Biologie ist jedenfalls Schicksal, und wenn die Verhältnisse nun mal nicht so sind, wie es unserer Veranlagung entspricht, dann strafft uns die Natur mit Burnout, wenn nicht schlimmeren.

Erklärungsbedürftig wären demnach nicht die hohen Erkrankungsraten, sondern das nicht schon längst alle ausgebrannt sind. Die Ermutigungen des Empowerment, die Suggestionen der Positiven Psychologie, die Exerzitien der Achtsamkeit - sie klingen da wie das sprichwörtliche Pfeifen im Walde." ebd. S. 193

 

Bröcking meint das hier ein "zivilisationskritisch - pessimistisches Bild" entstanden ist, wie es "düsterer kaum ausfallen könnte"

 

Die Konsequenzen die sich für eine Gesellschaft eigentlich daraus ergeben müßten werden gegen einen "pragmatischen Aktivismus" eingetauscht. D.h. ein integrativer Ansatz der sowohl die Belastung reduziert als auch die Belastbarkeit steigert - gesellschaftliche Anforderung und persönliche Ressourcen (gegebenenfalls auch mittels therapeutischer Methoden) sollen ins "Gleichgewicht" gebracht werden.

 

"Wer Burn-out hat, muß lernen einen Gang herunterzuschalten", den "Mut zur Pause haben". Bröcking sieht hier Methaphern zur Maschinenwelt. 

 

"Gegen die Zumutung radikal vermarktlicher Arbeitsverhältnisse soll ausgerechnet die konsequente Ökonomisierung des Verhältnisses zu sich selbst helfen." Dies sehe dann so aus das der Einzelne sich als Humankapitalist in eigener Sache zu verstehen habe, der "rational kalkulierend in sein Leben investiert" und z.B. Entscheidungen korrigiert, die nicht mehr seinen Refenzen entsprechen.

 

Und auch vorbeugend agiere in dem er therapeutischen Ratschlägen folge: "Wer seinen Selbstwert ganz aus seinem Job beziehe, gerät durch einen Misserfolg viel leichter aus dem Gleichgewicht als jemand, der sich nach Feierabend in die Gesellschaft eines netten Partners, lieber Kinder und guter Freunde zurückziehen kann".

Solchen Ratschlägen hält Bröckling folgendes entgegen: "Wer das Gleichgewicht zwischen "Work" und "Life" zu verbessern sucht, räumt damit freilich ein, dass es sich um Gegensätze handelt und das Leben erst nach der Arbeit beginnt. Das mag eine realistische Einschätzung sein, dürfte aber kaum weiterhelfen, wo es darum geht, Ausgebrandte für ihre Arbeit neu zu entflammen." Ebd. S. 195

 

Der Arbeitnehmer als Opfer und Komplize der Effizienzökonomie

Der Soziologieprofessor Sighard Neckel meint, dass es der Zustand des Ausgelaugtseins sei,  der Personen, soziale Schichten, den Wachstumskapitalismus und das Ökosystem krisenhaft miteinander vereint.

 

Im Befund der "Müdigkeitsgesellschaft" hätte eine "unbeschränkte Vermarktung aller ökonomisch nutzbaren Antriebe und Potentiale, die unterschiedlos alles als Verwertungsobjekte einschließt was irgendwie profitabel erscheint zu einem Übermass geführt" in dem die "Gewalt des Zuviel" regiert: "Der Wahnwitz andauernder Erreichbarkeit, die Hektik von Multitasking und Aufmerksamkeitstechniken sowie eine Hyperaktivität, mit der das Subjekt als "autistische Leistungsmaschine".. in einen Exzess der Selbstausbeutung gerät." Sieghard Neckel, in Leistung und Erschöpfung, 2013, S. 204

 

Scheitere man in und an dieser "Ökonomie der Überleistung und Effizienz" so sehe man sich in einen "depressiven Versager verwandelt". Ebd. S. 204

 

 Diese Effizienzökologie spiegele sich in der "modernen Trostlosigkeit der Büros" welche in den Künsten zu einem populären Subjekt geworden seien.

Burnout-Kliniken wirkten in diesem Zusammenhang "wie die Außenstellen jener Büros, in denen sich zuvor die Hochleister und Selbstoptimierer mit ihren Zielvereinbarungen und Benchmarks gegenseitig im Nacken saßen - ein Wartungsbetrieb der Ausgebrannten, um wieder fit für die nächsten Einsatzrunden in der  Wettbewerbsgesllschaft zu werden."

 

Sighard Neckel sieht die Dynamik der Effizenzökologie welche den Arbeitnehmer zum Opfer als auch zum Komplitzen mache sehr gut in dem Roman  "Johann Holtrop" von Rainald Goetz dargestellt. Gleich in welchen Situationen sich die Romanfiguren befänden oder welche Charaktere sie hätten stets sei der "Umgang den die Romanfiguren pflegen, durch "Arbeit am Hass, Vergesellschaftung der Niedertracht, Entsorgung der gegenseitigen Verachtung" charakterisiert. Egomanie, Selbstüberschätzung und Geltungssucht bestimmen hier die psychologische Logik.." ebd. S. 205.